Liebe anwesende Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen des Stadtrates, sehr geehrter Herr Bürgermeister,
aus gegebenem Anlass habe ich kürzlich die grünen Wahlprogramme vergangener Jahre durchgeblättert. Unter den vielen Plänen und Zielen, die darin formuliert waren, stand eines immer ganz weit oben: Die Arbeit für eine lebenswerte Stadt! Doch lebenswert definiert sich offenbar für jeden Menschen ein wenig anders. In der Flut von teilweise unsäglichen Leserbriefen zum Thema Feuerbestattungsanlage wurde dem Bürgermeister und damit letztlich auch uns, den entscheidenden Stadträten, oft vorgeworfen, Kolbermoor heruntergewirtschaftet und ich zitiere „verschandelt“ zu haben. Solche Vorwürfe sowie der Umstand, dass sich meine persönliche Zeit in diesem Gremium ihrem Ende zuneigt, stimmen nachdenklich und bewegen dazu, Bilanz zu ziehen.
Was ist also lebenswert?
Lebenswert ist in meinen Augen beispielsweise eine Stadt, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten viele ihren Hausaufgaben gemacht und Steuergelder dort investiert hat, wo sie in erster Linie dem Bürger zu Gute kommen. Sie wollen Beispiele?
Bitteschön: Der Bahnhof, das Bürgerhaus, zwei Stege über die Mangfall, der Danielsplatz, das Mammutprojekt Werksiedlung, der Wertstoffhof, die Räumlichkeiten von Feuerwehr und rotem Kreuz, der Jugendtreff, die Schulen samt neuer Turnhalle
… kurz Luft holen…
die Kindertagesstätten, die Wohnungen am Glasberg, das Rathaus samt Rathausplatz, die Volkshochschule samt Bücherei, das Parkhaus, zwei Stadtbusse, das gesamte Spinnereigelände…. die Sitzungszeit ist begrenzt, sonst könnte ich noch weitermachen. Überall hier haben wir Strukturen geschaffen, die in erster Linie der Allgemeinheit dienen.
Und trotzdem haben wir im gleichen Zeitraum unseren Schuldenstand reduziert und uns eine solide freie Finanzspanne erhalten. Wie – Entschuldigung – dämlich muss man eigentlich sein, um all das zu nicht sehen und davon zu reden, dass Kolbermoor heruntergewirtschaftet wurde.
Wahrscheinlich tätigen solche Aussagen Menschen, die sich nie wirklich mit der Geschichte Kolbermoors befasst haben und die lieber sich selbst als eine Sache in den Mittelpunkt stellen. Einen besonders faden Beigeschmack bekommen solche Äußerungen allerdings dann, wenn sie aus der Feder eines Alt-Bürgermeisters stammen, der vor 17 Jahren das gesamte Spinnereigelände ziemlich schmerzfrei Immobilienhaien zum Fraß und zur Reihenhausbebauung vorgeworfen hätte.
Meines Wissens gab es noch nicht viele Ratsbegehren im näheren Umland und lebenswert ist in meinen Augen auch eine Stadt, die ein heißes Thema den Bürgern zum Entscheid anbietet. Und trotz all der Emotionen die dieser Bürgerentscheid mit sich brachte, bin ich nach wie vor ein großer Fan von Basisdemokratie, auch wenn sich hier gezeigt hat, dass in Zeiten von social media der Stil sehr schnell aus dem Ruder laufen kann.
Natürlich ist in Kolbermoor noch lange nicht alles Gold, was glänzt und natürlich gibt es neben Licht immer auch Schatten.
Nicht lebenswert ist eine Stadt, die sich zwar fahrradfreundliche Kommune nennt, in der man aber als Radfahrer seinen Weg im Zickzackkurs zwischen Autos über Schwellen und Bordsteine suchen muss. Nicht lebenswert sind neu entstehende Betonklötze wie der am ehemaligen Minimalplatz, der genauso groß und hässlich wird, wie ich ihn mir schon bei der Planung vorgestellt habe. Raumkanten statt Buche und Lebensqualität. Nicht lebenswert ist eine Stadt, die den Profit von Bauwerbern über die Qualität des Lebensraumes stellt. Im Bereich Gärtner- und Schwarzenbergstraße, im Bereich untere Mangfallstraße/Riverside, im Conradty-Gelände und im Umgriff vieler anderer Bebauungspläne haben wir bereits oder werden noch eine Bebauungsdichte schaffen, die wieder einmal keinen Platz für Radwege, Kindergärten, öffentliche Grünanlagen oder einfach Luft zum Leben lässt. Auch hier werden in Zukunft parkende Autos die öffentlichen Straßen zustellen und der ohnehin schon katastrophale Verkehr in Kolbermoor wird noch katastrophaler werden, ohne dass das Problem bezahlbarer Wohnungen gelöst wird. Nicht lebenswert wäre vor allem eine Großbaustelle für den angedachten Brennernordzulauf, die die heute noch wunderschönen Naherholungsgebiete zwischen Schlarbhofen und Pullach und zwischen Loholz und Bad Aibling auf Jahrzehnte hinaus in eine Baustelle verwandeln würde, die wohl eher an einen Truppenübungsplatz oder eine Braunkohlezeche denn an eine lebenswerte Stadt erinnert wird.
Und dennoch: Ich lebe seit über fünfzig Jahren in Kolbermoor und ich lebe gerne hier. Leider wird bei aller Kritik oft übersehen, was für eine Entwicklung unsere Stadt bereits hinter sich hat. Aber wie eingangs schon erwähnt, muss man dafür etwas mit der Geschichte Kolbermoors vertraut sein. Hierzu möchte ich zum Abschluss meiner Erklärung eine kleine Anekdote zum Besten geben:
Als ich vor einiger Zeit zusammen mit einem kürzlich hierher gezogenen Zahnarzt auf einem Kongress zu Gast war, hörte ich, wie er in der Mittagspause den Münchener Kollegen begeistert von seiner neuen Wohnung in Kolbermoor und dem lebenswerten Umfeld erzählte. Wie gut es seiner Frau und den Kindern hier gefällt. Da konnte ich nicht umhin, mich in die Diskussion einzumischen. „Weißt du“, meinte ich, „dass während meiner Gymnasialzeit in den Siebzigern die Rosenheimer Kinder von ihren Eltern angehalten wurden, um uns Kolbermoorer einen Bogen zu machen.“ Zitat: „Mit dem spuist ned, der is aus Keibeloch, sprich Kolbermoor!“ Der Kollege hielt es zunächst für einen Witz, als er dann merkte, dass es mir durchaus ernst war, konnte er es nicht glauben. Es war für ihn völlig unfassbar, dass das Kolbermoor von heute einst das ungeliebte und belächelte „Glasschermviertel“ von gestern war.
Doch! Trotz der vielen Projekte, für die ich in meiner Zeit als Stadtrat leider keine Mehrheit fand, trotz all der Dinge, die ich gerne anders gehabt hätte, trotz all der Schwierigkeiten und Probleme, die es aber woanders in deutschen Kommunen ganz genauso gibt, bleibe ich dabei:
Kolbermoor ist eine lebenswerte Stadt.
Dafür möchte ich all denStadtratskollegen danken, die in den vergangenen Jahren mit viel ehrenamtlicher Arbeit dazu beigetragen haben. Vor allem jenen, die dabei nicht den eigenen Profit im Auge hatten.
Ich hoffe sehr, dass dieses Schaffen einer lebenswerten Stadt auch in zukünftigen Legislaturperioden oberstes Ziel bleiben wird.
In diesem Sinne wünsche ich allen hier Anwesenden ein besinnliches, frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in ein gesundes, glückliches 2020.
Weil wir hier leben!
Georg Kustermann für BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
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